Bericht von der Berlinale-Nachlese 2018 des BFFV

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Von Karen Dohr

 

Alles wie immer auf der 68. Ausgabe der Berlinale? Oder passiert was in Film-Deutschland? Und wenn ja, wann und unter welcher Regie?

Solche und andere Fragen diskutierten die Vereinsmitglieder am Montag, den 19. März, in der Kantine der Weydingerstraße. In bunt gemischter Runde, zwischen langjährigen Mitgliedern und Nachwuchs, arbeiteten sich spannende Positionen zum diesjährigen Berlinale-Treiben heraus. Während gleich zu Anfang deutlich wurde, dass der Wettbewerb die Mitglieder im Vergleich zu vergangenen Jahren enttäuscht hatte, ließ sich schwerer verorten, woher dieser Eindruck stammte. Mehr Qualität, weniger Mittelmaß lautete hier die Kritik. Die einen lasteten dies vor allem dem Festivaldirektor und seinem Team an, die anderen folgten dem Argument, dass nur das kuratiert werden könne, was auch da sei, und nahmen die Produktionsmechanismen selbst in den Blick, die noch vor jeder Auswahl stünden.

Dass aber auch dort selbstverstärkende Prozesse am Werk sind, ist nach 17 Jahren Berlinale kaum von der Hand zu weisen und lässt auf den kommenden Leitungswechsel und neue Impulse hoffen.

Trotz eines insgesamt eher schwachen Wettbewerbs, haben doch drei Filme für genug Stoff gesorgt, um die Diskussion zu tragen. Darunter zunächst der fast unerträglich lange 70-Minuten-Take im Film Utoya 22.Juli des norwegischen Regisseurs Erik Poppe. Wie und warum gehen Filme mit solchen Ereignissen wie dem Attentat auf der Insel Utoya um? Die Antworten reichten von unglücklichen Parallelen zu Ego-Shooter-Spielen über innere Distanz zum Filmgeschehen bis zu einer tiefgehenden, empathischen Teilnahme am Erleben der Betroffenen.

Einer der spannendsten Momente des Abends ergab sich bei der Diskussion um Das schweigende Klassenzimmer von Lars Kraume, der eine gewisse Müdigkeit bei den Mitgliedern auslöste angesichts der üblichen DDR-Film-Staffage. Für den Nachwuchs erschloss sich dadurch aber nochmal ein neuer Blick auf die Konstruktion von Geschichte und Geschichtsbildern im Film – die Jüngste Diskussionsteilnehmerin ist Jahrgang ‘95, also jenseits der expliziten Kategorien Ost-West aufgewachsen. Wie man an Das schweigende Klassenzimmer und anderen Filmen über die DDR-Vergangenheit sieht, ist die Geschichte filmisch noch lange nicht zu Ende erzählt, nur weil sie vorbei ist.

Last but not least – zum viel diskutierten Gewinner des goldenen Bären: Der halb dokumentarische, halb fiktionale Film Touch Me Not der rumänischen Regisseurin Adina Pintille. Für verstörend bis eklig befanden ihn einige Mitglieder und schlossen sich verschiedenen Presseurteilen an, die den Film zur „Sexperimental-Doku“ erklärt hatten. Ein unverständliches Urteil, das ganz am Film vorbei gehe, lautete die Gegenposition. Die Arbeit bewege sich konsequent und berührend im Spannungsfeld zwischen dem großen Versprechen des Kinos, für ein paar Minuten in der Haut der Heldin stecken zu können, und der unweigerlichen Erkenntnis auf der anderen Seite, dass Kino nun mal Kino bleibt und jeder in seiner eigenen Haut.

Und das deutsche Nachwuchskino? Diskutiert wurden unter anderem die Komödie Feierabendbier von Ben Brummer und das Drama Verlorene von Felix Hassenfratz. Während ersteres zum nicht ganz nihilistisch-perspektivlosen Spaß über auch nicht mehr ganz so junge Typen deutscher Großstädte erklärt wurde, stellte sich letzteres als solides, aber nicht unbedingt originelles Drama über zwei Schwestern im schwäbischen Dorf heraus. Insgesamt erwies sich die diesjährige ‚Perspektive Deutsches Kino‘ als zu weiten Teilen geglückter Versuch, viele verschiedene Genres und abgebildete Lebenssituationen in einer Sektion unterzubringen, auch wenn erneut einige Beiträge entweder dröge und nichtssagend oder aber viel zu bedeutungsschwanger und effekthascherisch geraten sind.

Empfehlungen der Runde zur Berlinale-Nachlese gehen raus für die Dokus The Silence of Others der Regisseure Almudena Carracedo und Robert Bahar und Waldheims Walzer von Ruth Beckermann, außerdem für die beiden Spielfilme 3 Tage in Quiberon in der Regie von Emily Atef und In den Gängen von Thomas Stuber.