Kritik zum Eröffnungsfilm der Berlinale - 'Isle of Dogs' von Wes Anderson

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Vor vier Jahren kam ich mit leuchtenden Augen aus dem Eröffnungsfilm meiner ersten Berlinale und war überzeugt – Grand Budapest Hotel war ein genialer Film und dazu ein toller Eröffnungsfilm. Dementsprechend euphorisch fiel auch unser Urteil zu Wes Andersons letztem Film aus. Heute bin ich reflektierter – vielleicht auch mürrischer – und müsste meine Kritik von damals revidieren. Zum Glück geht es aber heute nicht darum, sondern um Isle of Dogs, Andersons zweitem Animationsfilm, mit dem er eine weitere Berlinale eröffnet. Und auch wenn ich gerade die erste halbe Stunde eine ähnliche Begeisterung verspürt habe wie bei Grand Budapest Hotel, muss ich mich diesmal etwas bedeckter halten. Vielleicht bin ich damit ja in vier weiteren Jahren immer noch einverstanden.

Isle of Dogs erzählt von einem Japan der nahen Zukunft, in dem sämtliche Hunde einer Metropole als Krankheitsherde gesehen und auf die praktischerweise schon ‚Trash Island‘ genannte Müllkippe im Meer vor der Stadt verbannt werden. Der erste auf diese Weise verstoßene Hund gehört Atari (Koyu Rankin), dem Neffen des korrupten Bürgermeisters, der sich aufmacht, seinen Freund zu finden und aus dem Exil zu retten. Auf dieser recht einfach gehaltenen Heldenreise wird er von aussätzigen Hunden unterstützt und nähert sich dem Streuner Chief (Bryan Cranston) an, der von Menschen eigentlich immer misshandelt wurde und Atari dementsprechend erst einmal feindselig gegenübersteht.

Bryan Cranston ist dabei nur die Spitze eines unglaublichen Sprechereisbergs, der von Bill Murray über Ed Norton bis zu Scarlett Johansson reicht. Bei Isle of Dogs handelt es sich um einen mit liebevoll detaillierten Puppen gedrehten Stop-Motion Film, bei dem die Hunde allesamt auf Englisch vertont wurden. Die meisten menschlichen Figuren sprechen dabei japanisch. Das Japanische wird auch nicht untertitelt, sondern nur in manchen Fällen – durch Dolmetscher im Film – übersetzt. Die Menschen bleiben dem Publikum damit so unverständlich wie den Hunden im Film – ein sehr schöner Einfall, der leider nicht konsequent genug umgesetzt wird. Aber dazu gleich mehr, erst einmal zur Animation. Die trägt den Film nämlich über weite Teile hinweg.

Das ist auch kein Wunder, schließlich harmonieren die genauen Bildsymmetrien und präzise durchgetakteten, rhythmisierten Bewegungsabläufe, wie wir sie von Anderson-Filmen kennen, perfekt mit der Stop-Motion Technik. Diese gibt dem Regisseur eben wortwörtlich die Kontrolle über jeden Frame. Und das Tempo, der Flow und der visuelle Einfallsreichtum, den er uns dabei beschert, lässt nicht nur etwaige ästhetische Bedenken schnell vergessen, er versöhnt uns auch mit der eigentlich eher drögen Geschichte, die vor allem im zweiten Akt arg auf der Stelle tritt. Ein visuell ansprechender und unterhaltsamer, erzählerisch aber eintöniger und sehr vorhersehbarer Film also.

Auffällig ist allerdings, dass die tierischen Helden allesamt Männer sind. Die Hündinnen werden auf attraktive, immer gepflegte Show-Tiere reduziert, deren Wert nur darin besteht, potenzielle Paarungsobjekte für die Protagnisten zu sein. Und dann ist da noch die Sache mit den Nazis.

Die Hunde, die unter sicherheitspolitischen bzw. -hygienischen Vorwänden von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, lassen sich natürlich sehr schnell mit Geflüchteten assoziieren. In dieser Lesart könnte man Isle of Dogs als wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte ansehen – wie das beispielsweise Wenke Husmann in der Zeit tut. Im Verlauf des Filmes verwischt sich dieser Bezug aber und wird durch eindeutige Nazi-Vergleiche verdrängt; auf einmal werden Hunde in klar als KZs markierte Lager gesperrt und eine „finale Lösung des Hundeproblems“ vorbereitet, während Presse und Gesellschaft gleichgeschaltet werden. Das kann nichts mit uns zu tun haben, schließlich sind die Bösen ja Nazis! Die klare Schwarzweiß-Zeichnung der ehrlichen Hunde-Liebhaber und der korrupten, faschistischen Hundehasser nimmt dem Film nicht nur jede Ambivalenz, die ihm politische Relevanz verliehen hätte. Sie ist auch der japanischen Gesellschaft gegenüber unfair. Natürlich hat sich Anderson gegen solche Kritik gewissermaßen abgesichert, indem er japanische Berater ins Boot geholt hat. Andersons Japan ist aber dennoch zu einer stereotypen Karikatur geraten. Angestrengt, halb schreiend sprechen! Fische für Sushi brutal töten! Bei Haikus weinen! Und dann auch noch Faschismus – das ist durchaus irritierend. Vor allem, wenn die Stimme der Vernunft, der Freiheit und der Wahrheit durch eine US-amerikanische Austauschschülerin verkörpert wird.

Sven Angene - Diese Kritik erschien ursprünglich auf Vier Kinder und ein Feldbett.